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Praxis für Analytische Tiefenpsychologie


Marianne Steinemann    Schürgistrasse 26
lic. phil.             8051 Zürich
Psychotherapeutin      032 535 42 41

marianne.steinemann@lebenskrise-seelenpflege.ch



Biographiearbeit    oder    Vom Hegen und Pflegen des Seelengartens


gartenblumen

Im Garten

Ich liebe meinen etwas verwilderten Garten mit seinen vielen Blumen, die Jahr für Jahr von selbst wieder kommen. Meine Aufgabe ist es nur, zu schauen, dass die Blumen, Beeren und Kräuter wachsen können, dass sie gute, nährende Erde, genügend Wasser und Licht haben, und dass das Unkraut und das Ungeziefer nicht überhand nehmen.

Der Garten ist für mich ein Sinnbild für mein ganzes Leben. Wenn sie mir gelingt, diese gewährende Haltung als Gärtnerin, dann schafft sie einen guten Boden für das Wachstum und Gedeihen von Pflanzen, Tieren und Menschen.
Auch in meiner analytischen Arbeit komme ich mir vor wie eine Gärtnerin, eine Seelengärtnerin. Ich versuche in den Menschen Liebe zu ihrer Seelenpflanze zu wecken, Freude daran, sie zu hegen und zu pflegen.


Begegnungen

Vor einiger Zeit habe ich in einem Altersheim Märchen erzählt und im daran anschliessenden Gespräch mit den alten Menschen gespürt, dass bei manchen ein grosses Bedürfnis nach offenen und tiefen Gesprächen über das Leben und das Sterben besteht. Auch ihr Alleinsein mit ihren Fragen, Ängsten und Nöten habe ich beim Zuhören wahrgenommen.

Ich begegne ganz verschiedenen älteren Menschen, und ich staune über die Vielgestaltigkeit ihres Alt-Seins. Ich erlebe, wie wohltuend und belebend das Wahrnehmen von Sinn-Zusammenhängen sein kann: das Sehen des roten Fadens im eigenen Leben, das Verstehen eines Traumes oder das Erkennen von - noch jetzt im Lebensherbst - notwendigen Entwicklungsschritten. Und ich erlebe auch das Gegenteil: Angst, Verbitterung oder auch tiefe Einsamkeit - Ausdruck verlorener Lebendigkeit.

Aus diesen Erfahrungen ist ein Projekt entstanden: "Biographiearbeit mit Menschen im Lebensherbst"

Wandlung

Meine Biographiearbeit orientiert sich am Sieben-Jahresrhythmus, dem Urrhythmus des menschlichen Lebens. Die Siebenjahresperioden und ihre Knotenpunkte lassen sich als Richtwerte einer geistigen Ordnung [1] durch den ganzen Lebenslauf eines Menschen hindurch erkennen. Das Leben erscheint als eine Abfolge von Wandlungen. Der stark körpergebundenen Entwicklung (0-21) folgt eine seelische (21-42) und schliesslich eine geistige Entwicklung (42-63). Die Jahre danach dienen der Abrundung und dem Rückblick auf das eigene Leben.
Es geht darum, sich mit dem eigenen Schicksal zu versöhnen und eine Lebensbilanz zu ziehen, und es geht auch um das Näherrücken zum Ewigen, der Vorbereitung auf den Tod, der ja das Ziel unseres Erdenlebens ist.

[1] R. Treichler, Die Entwicklung der Seele im Lebenslauf, S. 17/21

labyrinth

Späte Jahre

Es braucht schon etwas Mut, um sich hineinzugeben in dieses 'Stirb und werde'; schaffst du es, so bist du darin aufgehoben (Traumweisheit)

In unserem westlichen Kulturkreis ist das Wissen um die Bedeutung der späten Jahre leider verloren gegangen. Nur die Jugend - will es uns scheinen - hat Ziel, Zukunft, Sinn und Wert. Das Zuendegehen aber ist ein bloss sinnloses Aufhören. [2] Wir leben in einer Zeit des Jugendkultes. Das Altern wird nur negativ - etwa als Verlust von Jugend, Vitalität und Gesundheit - betrachtet. Uns fehlt eine Kultur des Altwerdens und Altseins. Für die älteren Menschen selber ist dies fatal, und auch für die Gesellschaft geht Wichtiges verloren: ihre Lebenserfahrung, ihre am Leben gereiften und geprüften Werte und auch ihre Ahnungen bezüglich dem Woher, dem Wofür und dem Wohin von uns Menschen.

[2] C.G. Jung, Ges. Werke, Band 8, Seele und Tod, S. 445

Ein roter Faden

Die Familien-Vontobel-Stiftung hat mir ermöglicht, die Biographiearbeit in einem Altersheim anzubieten und erste Erfahrungen zu sammeln. "So schön, dass Si chömed; ich hanene vil zverzele."
Frau A. Suter(*) sitzt in ihrem Sessel, ich ihr gegenüber. Auf dem Tisch liegt ihr Lebenskreis: eine grosse, weisse Kartonscheibe und darauf ein paar farbige Sektoren, ein goldener Kreis in der Mitte und von ihm ausgehend ein feiner goldener Faden mit einem Stern an seinem Ende. Er deutet auf die Verbundenheit der Seele mit dem Ewigen hin und wandert immer mit: durch helle und durch dunkle Zeiten.
"Geschter bini bi minere Schwöschter gsii - nach drüü Jaar s erscht Mal; mir händ Fride gmacht. Die Erbgschicht, wo öisi Bezieig so vergiftet hät, isch uf de Siite. S chunnt ja nüme druf aa: verbii isch verbii."

Wir hatten die schwierige Geschichte mit all ihren Verwicklungen sorgfältig miteinander angeschaut; offenbar hatte sich jetzt etwas gelöst ... Damit wurde für Frau Suter eine neue Begegnung mit ihrer Schwester möglich, und gleichzeitig wurde ihr Blick frei auf ihr interessantes, schon über achtzig Jahre dauerndes Leben.

lebenskreis
In jedem unserer Gespräche hat sie mir ein Stück davon erzählt und anschliessend dafür eine Farbe ausgewählt. So ist ihr Lebenskreis über die Monate farbig geworden, z.B. feuerrot für ihre lebendige Jungmädchenzeit, sattgrün für jene Zeit, da sie selber mit viel Elan ein Heim führte und violett oder grau, wenn die erzählten Zeiten leidvoll waren. Frau Suters Fähigkeit, sich immer wieder aus einer schwierigen Lebenssituation zu befreien und neu anzufangen, zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Diese Entdeckung freut sie sehr und macht ihr auch Mut.
(*) Name geändert


Heilsames

Biographiearbeit kann zu grosser Dankbarkeit und zu einem tieferen Verständnis für die eigene Lebensgeschichte führen - zu innerer Ruhe, Gelassenheit und Heiterkeit. Es ist heilsam, den kleinen und grossen Geheimnissen des eigenen Lebens auf die Spur zu kommen, dem "Türli", das doch immer wieder aufgegangen ist ...

Im Lebensherbst gilt es, die Ernte einzubringen und sich an all den Früchten und Samen eines langen Lebens zu freuen und gleichzeitig innerlich bereit zu. werden, das Irdische hinter sich zu lassen wie ein Schmetterling seine Puppe. (Traumweisheit)


aus "visit" 3/2004


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